Gängige (Schul-)Lehrbücher erzählen die Geschichte der Industrialisierung meist als euro- und anthropozentrierte Fortschrittsgeschichte. Neuere Strömungen der Global- und Umweltgeschichte fordern das konventionelle Modernisierungsnarrativ heraus. Die Globalgeschichte hinterfragt den Eurozentrismus mit dem Argument, dass die ?Great Divergence? ? das Abheben dauerhaften Wirtschaftswachstums in Europa und dessen Ausbleiben im ?Rest der Welt? ? im 18. Jahrhundert noch nicht entschieden war. Erst im frühen 19. Jahrhundert ließ Nordwesteuropa (v.a. Großbritannien) durch Ressourcenzugriffe in der Horizontalen (z.B. auf Rohstoffe in Übersee) und Vertikalen (z.B. auf Kohle als ?unterirdischer Wald?) sowie kapitalismusfreundliche Institutionen (z.B. individuelle Eigentumsrechte) die Wirtschaftszentren China und Indien hinter sich. Ab dem späten 20. Jahrhundert begann die Verlagerung der Wirtschaftsdynamik nach Ost- und Südasien (v.a. China) die vergleichsweise kurzzeitige Wohlstandskluft zwischen dem Westen und dem ?Rest der Welt? wiederum zu schließen (?Great Convergence?). Die Umweltgeschichte hinterfragt den anthropozentrischen Grundzug des Modernisierungsnarrativs. Der Zugriff auf fossile Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas usw.) ab etwa 1800 und die Beschleunigung des Ressourcenverbrauchs ab etwa 1950 (?Great Acceleration?) bewirkten den geoepochalen Übergang vom Holozän zum Anthropozän. In diesem neuen Erdzeitalter bestimmt die Spezies Mensch nicht mehr nur ihre eigene Entwicklung, sondern nun auch die des gesamten Planeten (der Atmosphäre, Lithosphäre, Hydrosphäre usw.) wesentlich mit. Radikalere umwelthistorische Ansätze sprechen anstatt vom ?Anthropozän? vom ?Kapitalozän?, das cheap nature (neben cheap labour) als Quelle der zerstörerischen Expansion des (Industrie )Kapitalismus begreift. Die revisionistischen Erzählungen der Industrialisierung differenzieren das konventionelle Modernisierungsnarrativ.
Sprache der Kurzfassung:
Deutsch
Vortragstyp:
Hauptvortrag / Eingeladener Vortrag auf einer Tagung